B wie Bartleby

B wie Bartleby greift Herman Melvilles legendäre Erzählung auf und verwandelt sie in einen Filmessay über Erinnerung, Sprache und Widerstand. Ausgehend von Dialogen mit einem verstorbenen Gefährten lebt der berühmte Satz I would prefer not to in Stimmen und Gesten von Performer:innen, Jugendlichen, Rap-Musikern, Passant:innen und Gestrandeten neu auf – leise, beharrlich, zeitlos.

Den Ausgangspunkt von Angela Summereders neuestem Film bildet Herman Melvilles berühmte, 1853 erschienene Erzählung Bartleby der Schreiber: Eine Geschichte aus der Wall Street. Ihr Protagonist ist ein Angestellter einer Anwaltskanzlei, dessen Aufgabe im repetitiven Kopieren von Schriftstücken besteht. Bartlebys notorisches „I would prefer not to“, mit dem er nach Auskunft des Anwalts, dem Ich-Erzähler, die ihm aufgetragene Arbeit  mit höflich-unerbittlichem Stoizismus abbügelt, durchzieht Summereders essayistische Montage wie ein roter Faden:

So verbindet dieser zum einen Sequenzen aus Jean-Marie Straubs und Danièle Huillets Geschichtsunterricht (1972) mit anfangs bildlosen Voice-Over-Dialogen zwischen Benedikt Zulauf, der den jungen Mann in der Brecht-Adaption spielte und der Filmemacherin, die, wie sie erklärt, mit der Umsetzung von Bartleby einem lang gehegten Wunsch ihres vor Beginn der Produktion todkranken Ex-Partners nachkommt. Es sei die „doppelte Negation“ der Bartleby’schen Formel, die, wie Benedikt Zulauf bekennt, ihn durch sein Leben begleitet habe und welche die österreichische Regisseurin von diversen Performer:innen erproben lässt. In deren sich programmatisch wiederholenden Sprech- und Gesangsübungen wird der rote Faden sodann weitergesponnen: Von einer Tourguide im Herman Melville Museum, welche seine Gattin Elizabeth Melville reenacted, sowie von Frauen und Männern unterschiedlichen Alters etwa im Wiener Volkskundemuseum und bei Ikea, von zwei jungen migrantischen Rappern im Tonstudio, schließlich von Schüler:innen in einer „come2gether“ genannten Einrichtung und von Bewohnern des VinziDorf, einer Wiener Obdachlosenunterkunft: Sie alle interpretieren die ihnen zugeteilten Textfragmente in mehr oder weniger improvisierten Mono-, Dia- oder Polylogen.

Insofern „Essay“ im Spanischen soviel wie „Probe“ bedeutet, erweist sich die filmische Form von B wie Bartleby als eine sicht- und hörbare Reflexion auf die Wechselbeziehung zwischen mimetischer Nacherzählung und performativer Aneignung eines literarischen Stoffs, den Summereders interaktive Verfahrensweise auf zugleich poetisch und politisch lesbare Weise aktualisiert. 

Sabeth Buchmann

Info

  • A, 2025, 72 min, 16 mm, DCP
  • Buch und Regie Angela Summereder
  • Kamera Antonia de la Luz Kašik
  • Montage Sebastian Schreiner
  • Musik Wolf-Maximilian Liebich
  • Dramaturgische Beratung Claus Philipp
  • Grading Ulrich Grimm
  • Produzentin Daniela Praher
  • Produktion Praherfilm
  • Mit Benedikt Zulauf, Beatrice Frey, Maxi Blaha, Anna Mendelssohn, Alex Deutinger, Florian Tröbinger, Leopold von Verschuer, Kevin Dooley, Rosalie Christa Sommersguter, Sarah Belar, Rama Al Rahmani, Emilia Brescher, Philippa Brescher, Rance Aboa Arshid, Achmed Usmanov, Muhtar Ramoski, Michael Kummer, Thomas Schlager, Victoria Trusewicz, Paul Zöchbauer

Festivals

  • DocLisboa 2025
  • Viennale 2025
  • Filmwoche Duisburg 2025

Kinostart Österreich

  • 9. Jänner 2026

Verleih

Kritiken

The rigour of the film, its formal excellence, its liberating originality and at the same time faithfulness to certain cinematic tradition, immediately conquered the attention and trust of our selection committee. This is the film which constantly changes the perspective, bringing the key literary text to the personal dimension, the dimension of the city and the community, which allows it to be a very singular work of art and at the same time an universal reflection on the society, work and politics.

Boris Nelepo, Doc Lisboa , 2025

By taking on Bartleby, the Scrivener: A Story of Wall Street by Herman Melville as the inspiration for a film, B WIE BARTLEBY reflects on the impossibility of translating written language into images and sounds. Melville-themed tours at the author’s property, actors impersonating a fictional Bartleby and performers rehearsing the text make up Angela Summereder’s catalogue of ‘adaptation’ styles, with the purpose of carrying out her late partner’s wishes— Benedikt Zulauf, who acted in Straub-Huillet’s GESCHICHTSUNTERRICHT (1972), worked as a librarian and long dreamed of making a film out of the story. As we witness the couple’s discussions about the project, we become involved in Summereder’s struggles and hesitations, a rare trait in the often solemn genre of the essay film, that offers a welcome injection of emotion into an approach otherwise predominantly textual. The urgent energy of Melville’s text as well as the film’s attempts to grasp it finally dissipates over a serene evening at the Austrian Film Museum, where Zulauf worked amid books and films. It’s a fitting conclusion for a film that is at heart a celebration of cinema and literature as a means to engage with our loved ones and the world at large. 

Salvador Amores , Viennale 2025